
Ditzner Sharp – Live at Enjoy Jazz 2024 (Vinyl)
CD fixcel 26
Rel. 05/2025

CD mit Original Photographie auf Hahnemühle Photo Rag
fixcel limited Photo Edition kaufen
(ab 30.5.2024)
Vinyl erhältlich ab Ende Mai 2025 im Jazzshop der Jazzpages
Musiker
Erwin Ditzner (dr, electronics)
Elliott Sharp (gt, electronics)
Soundclip: Rotavator
No Rules!
Kurz bevor sie am 16. Oktober 2024 auf die Bühne der Alten Feuerwache in Mannheim gehen, nimmt Erwin Ditzner seinen Duopartner Elliott Sharp noch einmal zur Seite und fragt ihn flüsternd: „Elliott, no rules?“ Der New Yorker Gitarrist schaut den Schlagzeuger aus Ludwigshafen an und sagt im Brustton der Überzeugung: „Yeah, no rules!“ Dieser Moment vor dem Konzert der zwei unkonventionellen Improvisationskünstler beim 26. Enjoy Jazz Festival zeigt zum einen, wie sehr sie darauf fokussiert waren, sich in das Abenteuer einer tatsächlich frei improvisierten Musik zu stürzen. Zum anderen verdeutlicht diese Anekdote auch das Konzept von Ditzners „Carte Blanche“-Konzerten. Nach einem Auftritt bei Enjoy Jazz 2008 im Trio mit dem Klarinettisten Rudi Mahall und dem Bassisten Sebastian Gramss war es der künstlerische Leiter von Enjoy Jazz, Rainer Kern, der dem 1960 in Worms geborenen und in Ludwigshafen lebenden Schlagzeuger eine „Carte Blanche“ gab, mit der er seitdem jedes Jahr im Herbst Musikerinnen und Musikern von überall her zum Festival einlädt, um mit ihnen einen Abend lang eine frei gestaltete Musik live vor Publikum aufzuführen.
Den zauberhaften Moment des ersten Aufeinandertreffens zu feiern: So lässt sich die Idee dieser „Carte Blanche“-Konzerte beschreiben. Namhafte Improvisationskünstlerinnen und -künstler folgten der Einladung Ditzners bisher: die Berliner Saxofonistin Silke Eberhard oder die in Berlin lebende, japanische Pianistin Aki Takase ebenso wie der britische Saxofonist Tobias Delius, der österreichische Pianist Philip Zoubek und aus den USA unter anderem die Pianistin Marilyn Crispell oder der Gitarrist Jeff Parker. Oft kam man im Duo zusammen, manchmal bildeten sich Trios, hin und wieder gab es Quartette und größere Besetzungen. Einige seiner Gäste hatte der Schlagzeuger bereits vorher gekannt und mit dem einen oder der anderen auch schon gespielt, andere lernte er erst kurz vor dem gemeinsamen Auftritt kennen.
Auch den 1951 in Cleveland, Ohio, geborenen Elliott Sharp kannte Ditzner bereits. 2015 hatte er den Gitarristen für ein „Carte Blanche“-Konzert im Trio mit Gramss nach Mannheim geholt. Dieses Konzert überzeugte vollauf: Die drei Musiker gaben sich stilistisch und ästhetisch breit aufgestellt, zeigten sich eloquent im Ausdruck und der Phrasierung und führten das Energielevel ihrer Performance immer wieder an die Grenzen des Möglichen.
Aber die Geschichte von Ditzner und Sharp war damit noch nicht zu Ende erzählt. Auch das zeigen die rund 80 Minuten, die die beiden im Herbst 2024 miteinander auf der Bühne der Alten Feuerwache verbrachten. Dort zelebrierten sie eine frei improvisierte Musik, Form und Struktur ergaben sich erst in ihrer antizipierenden Interaktion, man ließ sich Raum, um einen musikalischen Gedanken auszuformulieren und mit dem anderen fortspinnen zu können. Sie differenzierten ihre Improvisationskunst so, dass darin selbst kleinste Details zum Strahlen kamen, aber waren auch mal laut und energetisch, wenn der Flow der gemeinsamen Improvisation es zuließ. Ganz der eigenen Intuition vertrauend, morphten sie die Klänge, mit leisen Störgeräuschen aus dem digitalen Baukasten oder Feedbacks der E-Gitarre lenkten sie die Musik oftmals in neue Richtungen, um dann doch bei einem stabilen Groove vom Schlagzeug zu landen, über den sich kurzerhand ein halsbrecherisches Riff der E-Gitarre legte. Sie waren konzentriert bei der Sache, Pausen zwischen den Stücken gab es nicht, erst am Ende hielten Ditzner und Sharp einen kurzen Moment inne, bevor sie nach dem Applaus ihre Zugabe spielten. Laut Duden ist ein Palindrom die „sinnvolle Folge von Buchstaben, Wörtern oder Versen, die vorwärts- wie rückwärts gelesen Sinn ergeben“. Für ihr Album „Ditzner | Sharp – Live at Enjoy Jazz Festival 2024“ nutzen die beiden Musiker Palindrome als Erweiterung ihrer schon im Konzert gezeigten Kreativität. Das Covermotiv mit seinem verschwommenen Schwarzweiß-Foto und einem Stück Stacheldraht in der Mitte, mit dem das Motiv in zwei gleiche Hälften geteilt wird, ist schon eine visuell-ironische Brechung des Palindroms. Lassen sich die Namen des ersten und letzten Stücks, „Anitram“ = Martina und „Sukram“ = Markus, in gewisser Weise noch als Palindrom identifizieren, so zeigt es sich bei „Redividor“ oder „Rotavator“ überhaupt nur im Wortbild. Das nämlich ist ein Palindrom auch: das Asymmetrische eines Kunstwerks in der Symmetrie seines Rahmens zu zeigen.
(Martin Laurentius, März 2025)